Nur für eine Nacht

"Die ganze Nacht?"
Der Dicke in dem fleckigen Sweater mit blassem Brustkrokodil sah mich gelangweilt an. Die Rezeption, hinter der er stand, war so klein, dass sie wie sein staubiger Bauchladen wirkte.
"Die ganze Nacht", sagte ich mit einem Blick auf meine Begleitung.
Iris. Nina. Hilde. Verdammt, ich hatte ihren Namen vergessen. Irgendwas mit "I" war es gewesen.
"Macht fünfzig Euro", schnarrte es mir entgegen. "Bar, keine Karte."
"Klar."
Ich fummelte fünf zerknitterte Zehner aus meiner Jeans und drückte sie ihm in die Hand.
"Stimmt so."
"Echt witzig, Mann. Hast wohl 'n Clown gefrühstückt, he?"
Iris - ja, jetzt hatte ich es wieder - Iris kicherte.
"Ich frühstücke nicht", sagte ich betont gelassen.
"Gut. Gibt's hier auch nicht. - Das ist der Schlüssel. Zweiter Stock, Zimmer 23. Kein Krawall, und um acht Uhr seid ihr raus. Und haltet die Bude sauber, klar?"
"Wird gemacht."
Wir stiefelten die Treppen hinauf. Als ich den Schlüssel in das Loch führen wollte, umarmte sie mich von hinten und schob ihre rechte Hand unter meinen Hosenbund.
"Komm schon, steck ihn rein."
Wieder kicherte sie. Ihr Atem roch nach zuviel Zigaretten und zuviel Wodka. Meine Güte, wir hatten es gut krachen lassen in dem stickigen Tanzschuppen. Bier und Wodka und Wodka und Bier, das butzenvolle Programm. Sie war nicht mein Typ, und ich war sicher auch nicht ihrer. Aber ich hatte das zwischen den Beinen, was sie jetzt wollte. Und umgekehrt ... irgendwie ...
"Lass es uns tun", hatte sie mir ins Ohr gelutscht. "Im Hotel nebenan."
Ich machte die Tür auf und knipste das Licht an. Sie hielt meine Erektion umfasst und folgte ihr wie einem Blindenstock.
Die Beleuchtung war so trübe wie mein Blick. In der Mitte des Zimmers stand unsere Spielwiese. Sie schob mich darauf zu, nahm die Hand aus meiner Hose und drückte mich in die Kissen. Es roch nach Schweiß, nach dutzenden billigen Nächten, nach ...
"Zieh dich aus", keuchte sie und fummelte an meinem Reißverschluß herum.
Ich packte ihre Hände.
"Hey, nun warte doch mal. Wir haben die ganze Nacht Zeit."
"Ich will nicht warten."
"Ich muss erst pinkeln."
"Dann beeil dich ..."
Ich schlurfte ins Bad und klappte die Klobrille hoch. Ein herber Duft aus Reinigungskonzentrat und Urin stieg mir in die Nase. Schlagartig ging meine Erektion in die Knie. Und die Tür auf.
Iris trat grinsend neben mich. Ich kam mir irgendwie albern vor, schwankend, mit geöffnetem Hosenstall, meinen kleinen Freund über die Schüssel haltend.
"Was willst du?"
"Ich will es sehen."
"Was?"
"Wie du pinkelst."
Sie griff mir an die Hoden. Es hatte etwas Geschäftsmäßiges an sich, als würde sie Gewürzbeutel vor dem Kauf abwiegen.
Mein Schwanz war weniger irritiert, er kam wieder halbwegs zu Kräften.
"Oh Mann, Iris, ich kann das nicht."
"Jetzt stell dich doch nicht so an."
Ich fing an, ihre rauchige Stimme zu hassen.
"Kapierst du das nicht? Ich kann nicht pinkeln, wenn er hart ist. Du könntest ja auch nicht, wenn du 'n Stopfen drin hättest, oder?"
Sie zog ein Gesicht, aber offensichtlich verstand sie; jedenfalls verdrückte sie sich wieder aus dem Bad.
Ich konzentrierte mich, pinkelte und wusch mir anschließend die Hände und den kleinen Mann. Die Dusche war gleich neben dem Waschbecken. Rostige Adern zogen sich durch das Emaille, eingetrocknete Kalkflecken bedeckten Duschkopf und Metallschlauch. Aber wenn ich schon mal hier war, wollte ich es auch durchziehen.
"Iris!", rief ich in das Zimmer hinein.
"Ja?"
"Lass uns duschen."
"Warum das denn? Komm endlich!"
Ach was, sie hatte recht. Scheiß aufs Vorspiel. Scheiß auf Sauberkeit, Berührungen, Liebe und diese ganzen lumpigen Sachen. Klappe halten, reinstecken, fertig. Schließlich wollten wir nicht den Rest unserer Tage miteinander verbringen.
Ich ging zu ihr hinüber. Sie lag bereits im Bett, nackt, Arme und Beine weit gespreizt. Für einen Moment kam sie mir vor wie ein in Alkohol getränktes Stück Fleisch mit einer pulsierenden, blanken Möse.
Etwas in mir drängte mich zur Tür. Ich war noch in voller Montur. Musste bloß loslaufen.
"Komm schon, zieh dich aus!"
Sie stand auf, zog mich zum Bettrand und schälte mich mit geübten Händen aus den Klamotten. Ihre Lippen berührten meine, ich drehte den Kopf zur Seite.
"Was ist los?"
"Nichts. Ich küsse nicht gern."
Diese Lüge war so groß, dass sie mich geradewegs ins Fegefeuer bringen musste, aber - Herr im Himmel, du verstehst das doch, oder? Das musst du doch verstehen - ich konnte sie nicht küssen. Nicht diese Frau.
"Egal", lachte sie. "Dann blas ich dir eben einen."
Sie setzte sich auf die Bettkante und nahm meinen Schwanz in den Mund. Es war hektisch, es war schnell. Aber nach über zwei Jahren auf dem Trockenen war das okay. Ich schloss die Augen und wühlte meine Hände in ihre braungelockte Mähne. Dann hörte sie auch schon wieder auf.
Ein Ruck, und ich lag über ihr im Bett. Energisch drückte sie meinen Kopf hinunter, zwischen ihre Beine.
Ich tat es mechanisch. Die geilste Spielart überhaupt, und meine Zunge war nur ein träger Muskel, der über glänzende Lippen leckte. Was 'ne Scheiße!
Entweder hatte sie was gemerkt oder aber die rasende Eieruhr in ihr trieb sie an, jedenfalls riss sie mich nach einer knappen Minute schon wieder zu sich hoch.
Ich sah zwei Narben neben ihrem Bauchnabel, dunkles Gewebe, wie unebene Stecknadelköpfe in der Haut. Drei weitere unter ihrer rechten Brust.
"Was ist das?"
"Was?" Sie klang ärgerlich.
"Diese Dinger da ..."
"Nichts. Nur Zigaretten."
"Du hast ..."
"Nein, ich habe gar nichts. Was wird das jetzt hier? Doktorspiele oder Ficken?"
Sie hatte wieder mal recht. Ich lochte ein. Dachte an alles mögliche, wollte nicht zu früh kommen. Fische ... manchmal denkt man tatsächlich an Fische. Mein Kontostand. Der letzte Terminator. Dann ging mir auf, dass ich auch einfach nur an Iris denken konnte. Das schwächte den Reiz zur Genüge. Die Promille taten ihr Übriges.
Dennoch verlor ich. Sie war nicht erfreut darüber, erledigte den Rest mit der Hand. Dann konnte ich endlich von ihr herunterrollen. Kein "Gute Nacht". Kein "Schlaf gut". Nur ein gemurmeltes "Du warst nicht schlecht", was nichts anderes hieß, als dass ich es nicht gebracht hatte. Es war nicht schwer, diese Codes zu dechiffrieren.
Ich liebe dich nicht mehr, aber wir können ja Freunde bleiben.
Verschwendeter Atem, immer schon gewesen.
Irgendwann schlief ich ein.
Am nächsten Morgen war ich wieder der Erste. Kurz nach sieben. Sie schnarchte leise. Ich stand auf, schlüpfte in meine Sachen und ging hinaus, ohne sie noch ein einziges Mal anzusehen.
Es war erstaunlich warm für die frühe Stunde. Menschen eilten über die Gehsteige, zur Arbeit, zum Einkauf ... manche kamen vielleicht auch von einem One Night Stand. Man sah es den Leuten nicht an. Man sah es nie jemandem an, wer er war, woher er kam und wohin er ging. Nicht so wirklich.
Eine junge Frau kam mir entgegen. Mit einer Hand schob sie einen leeren Kinderwagen, an der anderen hielt sie ein kleines Mädchen, das unsicher über das Pflaster dackelte. Keine zwei Jahre alt, die Kleine. Sie gingen an mir vorbei. Ich blieb stehen und blickte ihnen nach, bis sie in der nächsten Seitenstraße verschwanden.
Eine Tochter ...
Ich sah auf die Uhr.
Halb acht.
Zeit, nach Hause zu gehen.
Oder wie immer man das nennen mochte ...

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