Domo arigato, Mrs. Roboto

So ein Ärger aber auch. Da verpatzt man als anständiger armer Schlucker mal wieder ein paar Zahlungstermine, und schon geht im Briefkasten dermaßen die Post ab, als hätte man bei Nur die Liebe zählt einen Kurzauftritt in der Rubrik ‚Fundstück der Woche‘ gehabt.
Das Who is Who meiner Gläubiger gibt sich ein mahnendes Stelldichein auf meinem Schreibtisch, und weil das selbst für ein ramboeskes Nervenkostüm zu viel wäre, veranstalte ich eine kleine private Tombola: drei ziehen, Rest morgen.
And the winners are: Telekom, ein Rechtsverdreher, AOL.
Aber krieg mal einer die Sippe an die Strippe!
Die verschanzt sich nämlich hinter einem schier unüberwindlichen Bollwerk. Das Zeug heißt IVR. Klingt wie ein Virus, ist es aber nicht. IVR steht für Interactive Voice Response, eine auf Einzelworterkennung basierende Sprachnavigation bei Telefonanlagen – und ist die Pest unserer Zeit.
Die Telekom erreiche ich unter 0800, mithin für lau!, deshalb fang ich mit der dann gleich mal an.
Und das geht so:
Ich (zu meinem Herzblatt, das im gleichen Raume weilt): „Ich ruf mal eben beier Telekom an.“
Herzblatt (mit irgendeiner Beschäftigung beschäftigt): „Mhm.“
Der Telekom-Jingle zwitschert mir durch den Gehörgang.
Ich (halb über die Schulter): „Ah, is´ frei.“
Herzblatt (immer noch mit der Beschäftigung beschäftigt): „...“
Es meldet sich eine Stimme vom Band.
The Voice: „Guten Tag. Hier ist der Privatkundenservice von T-Com. Herzlich willkommen. Um den passenden Berater für Ihr Anliegen zu finden, möchte ich Ihnen ein paar kurze Fragen stellen.“
Aha, denke ich, ich hab also schon mal ein Anliegen. Klingt gut. Mal sehen, wer da so zu mir passt.
The Voice: „Sagen Sie mir zunächst: worum geht es? Beratung, Nachfrage zu einem Auftrag, Rechnung oder Störung?“
Ich (messerscharf akzentuierend): „Rechnung.“
Stille. Dann, wertvolle Sekunden meines Lebens sind unwiederbringlich dahin:
The Voice: „Entschuldigung, bitte wählen Sie einen der folgenden Bereiche: Beratung, Nachfrage zu einem Auftrag, Rechnung oder Störung. Also ...“
Ich: „Reeech-nuuung.“
The Voice: „Rechnung. Alles klar.“
Die Gute sagt an dieser Stelle tatsächlich ‚Alles klar‘.
Aus den Augenwinkeln bemerke ich, dass mein Herzblatt mir einen fragenden Blick zuwirft.
The Voice: „Und worum geht´s genau? Telefonrechnung, T-Online-Rechnungsposten, Kundendaten ändern oder Beschwerde?“
Ich: „Teee-leee-fooon-reeech-nuuung.“
Diesmal kapiert sie´s auf Anhieb.
The Voice: „Mhm, Telefonrechnung. Damit ich Ihre Kundendaten holen kann, brauche ich jetzt noch Ihre Telefonnummer. Geht es um den Festnetzanschluss, von dem Sie jetzt gerade telefonieren?“
Ich: „Ja.“
The Voice: „Entschuldigung, ich habe Sie nicht verstanden. Bitte ...“
Ja jaa jaaa, raunze ich ihr in die aufgezeichnete Parade, aber The Voice ist weiblich, und deshalb spricht sie sich erst mal aus.
The Voice: „... um den Festnetzanschluss, von dem Sie jetzt gerade telefonieren?“
Ich (schon ganz hibbelig vom ausgeschütteten Testosteron): „Jaaahaaa!“
Als ich dann endlich bei dem passenden Berater lande, passt da gar nichts zusammen. Der Kerl ist eine Frau, und die will partout nichts mit mir zu tun haben, bloß weil ich meine Kundennummer nicht zur Hand habe.
„Aber“, flehe ich sie an, „ich kann Ihnen zur Authentifizierung alles andere geben. Alle Nummern meiner Nebenstellenanlagen. Meine Adresse, Kontonummer, schulischer Werdegang, Lieblingsfarbe, Herrgott, jetzt haben Sie sich mal nicht so. Ich bin´s doch!
Das Kundennümmerken findet sich natürlich auf jeder Telefonrechnung, aber weil ich gerade in einer ausgedehnten Aufräumaktion stecke, sind die Ordner allesamt unauffindbar irgendwo in meiner Kemenate verbuddelt.
„Nö“, macht sie mein Aufbegehren zunichte, „ohne Kundennummer geht hier gar nichts. Dann müssen Sie die eben raussuchen und später noch mal anrufen.“
„Mach ich“, knurre ich noch, und dann stehe ich auch schon wieder da wie bestellt und nicht abgeholt, ganz blass vor Wut. Ein Himmelreich für eine Gabel, auf die ich den Hörer knallen könnte. Aber Pustekuchen: es gibt nur eine unscheinbare Taste mit einem roten Telefönchen darauf, und so viel Kraft hab ich nicht in meinem Daumen.
Schnurlostelefon.
Die Welt ist ungerecht.

Übergangslos knöpfe ich mir den Anwalt vor. Auf seiner Rechnung identifiziere ich in Höhe der oberen Faltmarke die finale Mahnstufe vor dem Betonsockel. Eilt.
Der gute Mann residiert in Stuttgart, hat aber offensichtlich nicht auf einen ordentlichen Festnetzanschluss gespart. 0180 statt 0711. Wenn das so weitergeht, dann ist bald auch die letzte Frittenbude nur noch über Voice Portal oder Call Center zu erreichen.
Vollends ärgerlich sind diese aufgenötigten Servicenummern, weil man hier nichts mit www.billiger-telefonieren.de reißen kann. Call by Call funktioniert dabei nämlich nicht (ich bin ein begeisterter Anhänger des Call by Call und vertrete die empirisch bislang nicht überpüfte These, dass, vorausgesetzt, man wählt vor der eigentlichen Verbindung gleich zwei dieser Billignummern hintereinander und quasselt hernach lange genug, dass man dann am Ende noch was rauskriegt). Aber statt entspannt über den Anbieter Sparfon für schlappe 1,39 Cent/Minute ins Schwabenländle telefonieren zu können, schlägt des Anwalts Hotline mit 12 Cent auf sechzig Sekunden zu Buche.
Jetzt ist bei mir ja so, dass ich, seit ich meiner gutbezahlten Anstellung verlustig gegangen bin, nicht mehr in Cent rechne, von so was Feinem wie dem Euro ganz zu schweigen. Ich rechne jetzt in Schnitten – das ist praktisch, weil man gleich weiß, wann´s weh tut.
Mein Schnittenindex berechnet sich folgendermaßen: Unser Kerniges von ALDI, Roggenvollkornbrot, 5% Sonnenblumenkerne, keine Konservierungsstoffe, lobenswerte 45 Cent, neun Schnitten je Packung, macht nach dem hochaufgeschossenen Adam 5 Cent pro Schnitte.
Mir knurrt jetzt schon der Magen. 12 Cent die Minute – bevor ich da ‚Guten Tag‘ gesagt habe, ist die Frühstücksbasis von morgen schon wegtelefoniert.
Schier endlos werde ich von einer gutgelaunten Frauenstimme zugeschwatzt. Irgendwann – geschätzte 6 Scheiben Unser Kerniges sind bereits durch die Leitung gejagt – darf ich mich am Gespräch beteiligen:
The Anwalts-Voice: „Zur Bearbeitung Ihres Anliegens benötige ich Ihr Aktenzeichen. Bitte sprechen Sie die Ziffern laut und deutlich in den Hörer oder geben Sie sie über die Tastatur Ihres Telefons ein.“
Das Aktenzeichen hat die Länge der A 40. Das krieg ich nie und nimmer unfallfrei aufgesagt. Also über die Tastatur.
0 3 0 6 5 ...
Ach Mist, vertippt!
Ich: „Und was jetzt?“
The Anwalts-Voice: „...“
Ich: „Du alte Bratze!“
The Anwalts-Voice: „...“
Mit zornessteifem Finger wähle ich mich erneut ein. Diesmal gelingt mir ein glatter Durchmarsch zur Sekretärin, und während ich bei meinem telekommunikativen Zukreuzekriechen noch einen allerletzten Zahlungsaufschub heraushole, rechnet mir der kleine Gebührenzähler in meinem Hirn bereits vor, dass die Nährstoffversorgung dieses Monats so langsam ihren kritischen Grenzwert erreicht.

Bleibt für heute noch AOL. 0180. 12 Cent die Minute. So viel Service braucht kein Mensch.
Zielsicher manövriere ich mein Anliegen durch die Dialogführung, alles geht zackoflex, dann werde ich auch schon durchgestellt ... und lande mittenmang in einer nostalgischen Sozialismusinstitution: Wartschleife, die früher mal eine Schlange war.
„Wir sind gleich für Sie da“, flunkert mich die Computermaus an.
Dann übernimmt eine Ohrenkrebs-Combo aus den Jamba-Klingelton-Charts und beschallt mich, dass es mir fast zum Dickdarm rausflutscht, und ich will grad schwerstgenervt auflegen, da fängt AOL mich mit einem infamen Trick wieder ein.
„Ihr Anruf ist uns wichtig.“
Wenn man schon mal von Bedeutung ist, kann man natürlich nicht ‚Nein‘ sagen und bleibt dran, mehr als 24 Schnitten lang, und wird mit Aufmerksamkeiten nur so zugeschüttet. Woher wissen die eigentlich, dass mein Anruf wichtig ist? Und was meinen die mit ‚Wir sind gleich für Sie da‘? Wir? Wie muss ich mir das vorstellen? Sitzt die ganze Bagage von Telefon-Fiffis im Halbkreis um ein Telefon herum und prügelt sich darum, wer das Gespräch annehmen darf?

Den für den Abend geplanten Anruf bei meiner Mutter verschiebe ich, weil ich ein wenig Angst verspüre, dass es vielleicht doch schon so weit ist:
„Guten Tag. Hier ist Maria Gore. Herzlich willkommen. Sag mir zunächst: welches meiner Kinder bist du? Dave, Jeff oder Geoff?“
...
„Entschuldigung, bitte wähle einen der folgenden Bereiche: Dave, Jeff oder Geoff. Also ...“

Moers, 13. August 2007

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