Der alte Gaukler (Charles Baudelaire)
Überall strömte, wogte und ergötzte sich das Ferienvolk. Es war eine dieser Festlichkeiten, mit denen, lange schon, die Gaukler, die Taschenspieler, die Tiervorführer und die Budenhändler rechneten, um die schlechten Zeiten des Jahres wettzumachen.
An solchen Tagen scheint es mir, daß das Volk alles vergißt, den Schmerz und die Arbeit; es wird den Kindern ähnlich. Für die Kleinen ist es ein Ferientag, es ist die um vierundzwanzig Stunden verschobene Abscheu vor der Schule. Für die Großen ist es ein mit den bösen Mächten des Lebens geschlossener Waffenstillstand, ein Innehalten in allgemeiner Anspannung und Kampf.
Selbst der Mann von Welt und der mit geistigen Arbeiten beschäftigte Mann können sich kaum dem Einfluß dieser Volksfeierlichkeit entziehen. Sie saugen, ohne es zu wollen, ihren Teil aus dieser Atmosphäre von Sorglosigkeit ein. Was mich angeht, so versäume ich es nie, als echter Pariser, die Reihen der Buden abzuschreiten, die in diesen feierlichen Zeiten paradieren.
Sie machten einander, in der Tat, gewaltig Konkurrenz: sie kreischten, brüllten, heulten. Es war ein Gemisch aus Schreien, aus Detonationen von Blechinstrumenten und aus Explosionen von Raketen. Die Hanswurste und Dummen Auguste verzerrten die Züge ihrer gebräunten, von Wind, Regen und Sonne gehärteten Gesichter; sie machten, mit der Sicherheit der ihrer Wirkung gewissen Komödianten, Witze und Späße eines soliden und schwerfälligen Humors wie der eines Molière. Die Herkulesse, stolz auf die Mächtigkeit ihrer Glieder, ohne Stirn und Hirnschale, wie die Orang-Utans, stolzierten majestätisch in am Vorabend für den Anlaß gewaschenen Tricots. Die Tänzerinnen, schön wie Feen oder Prinzessinnen, taten Luftsprünge unter dem Feuer der Laternen, die ihre Röckchen mit Funken übergossen.
Alles war nur Licht, Staub, Geschrei, Freude, Getümmel; die einen gaben aus, die anderen nahmen ein, gleich froh die einen wie die andern. Die Kinder hängten sich an die Röcke ihrer Mütter, um eine Zuckerstange zu bekommen, oder stiegen auf die Schultern ihrer Väter, um einen Taschenspieler, wie ein Gott strahlend, besser zu sehen. Und überall stieg, alle Düfte überlagernd, ein Bratgeruch auf, der wie der Weihrauch dieses Festes war.
Am Ende, am äußersten Ende der Budenreihe, als habe er sich, schamhaft, selber von all dem Glanz verbannt, sah ich einen armen Gaukler, gebeugt, hinfällig, altersschwach, eine menschliche Ruine, mit dem Rücken gegen einen Pfosten seiner Hütte gelehnt; eine elendere Hütte als die des vertiertesten Wilden, in der zwei tropfende qualmende Kerzenstummel nur zu gut noch das Elend erleuchteten.
Überall Freude, Gewinn, Verschwendung; überall die Gewißheit des Brots für die morgigen Tage; überall der rasende Ausbruch der Lebenskraft. Hier das vollkommene Elend, das Elend, das, um den Schrecken auf die Spitze zu treiben, mit lächerlichen Fetzen herausgeputzt war, wo die Not, weit mehr als die Kunst, den Kontrast eingeführt hatte. Er lachte nicht, der Unglückliche! Er weinte nicht, er tanzte nicht, er machte keine Gebärden, er schrie nicht, er sang kein Lied, weder ein frohes noch ein klagendes, er flehte nicht. Er war stumm und bewegungslos. Er hatte verzichtet, er hatte entsagt. Sein Schicksal war besiegelt.
Doch welch unergründlichen, unvergeßlichen Blick er über die Menge und die Lichter schweifen ließ, deren wogende Flut ein paar Schritte vor seinem abstoßenden Elend haltmachte! Ich fühlte meinen Hals von der furchtbaren Hand der Hysterie zugedrückt, und es schien mir, als wären meine Blicke getrübt durch jene widerspenstigen Tränen, die nicht fließen wollen.
Was tun? Was hätte es genützt, den Unglückseligen zu fragen, welche Rarität, welches Wunder er in dieser stinkenden Finsternis vorzuzeigen habe, hinter seinem ausgezackten Vorhang? Um die Wahrheit zu sagen, ich wagte es nicht; und möchte euch auch der Grund für meine Schüchternheit lächerlich vorkommen, ich gestehe doch, daß ich ihn zu demütigen fürchtete. Ich hatte mich nun soeben entschlossen, im Vorbeigehen etwas Geld auf eines seiner Bretter zu legen, in der Hoffnung, daß er meine Absicht erraten würde, als das aufgrund irgendeiner Unruhe zurückströmende Volk mich weit von ihm mitzog.
Und beim Weggehen, wie mich diese Erscheinung nicht losließ, versuchte ich, meinen plötzlichen Schmerz zu analysieren, und ich sprach zu mir: Ich habe das Bild des alten Literaten gesehen, der die Generation überlebt hat, deren glänzender Unterhalter er war; des alten Poeten ohne Freunde, ohne Familie, ohne Kinder, erniedrigt durch sein Elend und durch die öffentliche Undankbarkeit, dessen Bude die vergeßliche Welt nicht mehr betreten will!